4. Die Anfänge: Sacro Pop – musica popular
Die Dynamik des Aufbrechens kennzeichnet die frühen sechziger Jahre, sie lief den Achtundsechzigern wie eine Welle voraus. Johannes XXIII. gab den entscheidenden Impuls. Das Vaticanum II belebte die Liturgie. Es eröffnete ökumenische Gesprächsfähigkeit. Es förderte die selbstbewusste Freiheit Andersdenkender und -glaubender. Es beflügelte interkonfessionell die schöpferische Fantasie. – Ein weitreichender Wurf, der bis heute einzuholen bleibt.
Eine Dokumentation des Schwann Verlags – 10 Jahre Neue Geistliche Lieder in der Kirche(4) – veranschaulicht beispielhaft die Bandbreite im musikalischen Feld: Chansons und Spirituals, Jazz im Gottesdienst, rhythmische Messen, Folklore und Beat. Mit diesen damals jungen Stilformen im liturgischen Raum begann ein exemplarischer Konflikt zwischen den Generationen. Die nach dem 2. Weltkrieg junge Generation, die Flakhelferjahrgänge und die Kinder aus jener kaputten Zeit, eroberte sich Schritt für Schritt die ihr gemäße Musikalität und Sprache. In der Leidenschaft, in der dies geschah, lässt sich das Spezifische der Kennzeichnung „neu“ fassen. Der Bruch war mutig und überraschend.
Peter Janssens findet in diesen ersten gärenden Jahren seinen genuinen Stil. Statt rezipierter Gospelmusik und Spirituals, in denen man sich die Frömmigkeit der Schwarzen Amerikas ausborgte, schuf er eine musikalisch wie sprachlich eigentümliche und dabei populare Musik. Seine Melodien fließen, seine Rhythmen und die Pausen darin beleben, überraschen, bewirken ganzheitliche Emotion. Text und Melodie laufen zusammen. Soli, Refrains, Sprechgesang, instrumentale Teile und Lieder für alle sind ausgewogen zueinander komponiert. So werden viele Begabungen motiviert und aktiviert. Liturgisch entstehen Verläufe mit inneren Spannungsbögen. Stimmungen werden oft konträr zusammengebunden: Schwere Gedanken sind leicht getragen, einfache Zeilen sind vertieft in Musik, Strophen oder Kanons, die erst im gemeinsamen Gesang verborgene Bedeutungsgründe aufschließen.
Janssens verfügt über eine reiche Erfahrung musikalischer Stile, von Anfang an: Kirchentonarten, Choräle, Klassik, Volkslied, Jazz, Pop, Rock, Chanson, Tanzmusik, – vom Theater her – Sprechgesang und anderes mehr münden durch ihn hindurch ein in seine kompositorische Arbeit. Sie ergeben ein Neues – eben den Janssens Ton.(5) Den hört man sofort heraus. Von Anfang an. – Dabei ist er nie beliebig gewesen oder geworden. Sein Engagement gilt dem laoV tou Jeou(6) in des Begriffes weitem Sinn: den Laien, der unterdrückten Kreatur, den zum Schweigen und Ertragen Geborenen, den Kindern der Erde: „Ich glaube, dass die Teilnehmer des Gottesdienstes, die Gemeinde, das Volk, die Gläubigen, die Laien, die Brüder und Schwestern, also diese Mitmenschen viel mehr können und lernen können, als von Priestern, Popen, Organisten, Kantoren, Kirchenmusikproduzenten, liturgischen Arbeitskreisleitern, also den anderen Mitmenschen, angenommen wird.“(7) Janssens schöpft aus seinem Grund, einem ungebrochenen Vertrauen in Gott, der in der Schöpfung zur Erlösung kommen will. – Nur aus dieser Gesamtschau lässt sich seine originale Bedeutung erheben; jede Zerlegung in die Teile seines Schaffens läuft an ihm vorbei.
Janssens sagt 1964 im Rahmen einer Veranstaltung: „Geht die Kirche dem Menschen nach, dann hat das nur einen Sinn, wenn sich die Menschen selbst zunächst als Kirche betrachten. Dann gehen wir uns selbst nach. Jede Art, das zu tun: die feudal-hierachische, die bürgerlich-ständische hat einmal gestimmt und ein andermal nicht mehr. Wenn jetzt als Folge der zweiten Phase der Industriealisierung das Prinzip der Partnerschaft an Bedeutung in Europa gewinnt, im Staat, im Betrieb, in der Ehe und der Familie, dann sollten wir uns auch in der Kirche als Partner des anderen, als Mitträger der Opferfeier, als Mitfeiernde betrachten. Denn eigentlich ist das grundlegende theoretische Buch über Partnerschaft der Messtext und das Neue Testament.“(8) Kurz vorher erzählt er von einem 1. Advent zu Hause im alten Bauernhof, Schwienhorst Gemarkung Telgte, mit Inge Brandenburg und einigen Musikern: „…dann rutschten mir die Anfangstakte von ‚Es ist ein Ros entsprungen‘ durch die Finger ins Klavier, Inge stieg ein, sang die erste Strophe – gerade -, begann die zweite zu swingen, Klavier, Kontrabass und Schlagzeug swingten ihren Teil dazu, in der dritten Strophe stieg sie aus dem Text aus und sang auf freien Silben – vielleicht kannte sie den Text nicht weiter. Zum Schluss sang sie die erste Strophe wieder gerade. Kein Applaus. Plötzlich war Advent.- … Hier war mir klar wie der kalte Wintersonntag draußen, dass es zwischen Swing und religiösem Lied, Rhythmus und Glaubensaussage keine Schranke gibt.“(9) Er bezieht sich auch auf Weihbischof Tenhumberg, der für das Aggiornamento(10) Johannes‘ XXIII. in der Petrikirche in Münster bei einer rhythmischen Messe warb; Janssens hatte diese Messe komponiert und feierte sie mit einem starken Chor aus Seminaristen und Musikern in einer großen Gemeinde.
Was ich hier beleuchte, kommt im Laufe der Jahre in Janssens‘ Arbeit folgerichtig zutage und zur Geltung. – Zunächst entstehen, anlassbezogen und vor allem für die CAJ und KJG(11), Messen in deutscher Sprache, Lieder, Psalmenvertonungen, Stundengebete, ein Kreuzweg.(12) Das Jahr 1972 markiert einen Durchbruch. Janssens‘ Musik ist für alle Eingeweihten auf dem Feld gottesdienstlicher Reformen – und das im katholischen wie evangelischen Bereich – der Schweif am Himmel, der leuchtet und fasziniert, viele Kreise zieht. „Jeden Morgen streust du von neuem Hoffnung allen Wesen auf die Wege.“(13)
Essen, Münster, Stuttgart, Dortmund, Trier, Innsbruck, Augsburg, Fulda, Tecklenburg – das sind die wesentlichen Stationen der sechziger und frühen siebziger Jahre. Karl Lenfers, Christine Heuser, Alois Albrecht und auch schon Wilhelm Willms sind die maßgeblichen Texter, Inge Brandenburg und Jutta Hahn die starken Stimmen. Gerd Geerken, der Gitarrist, ist von Anfang an dabei; Janssens‘ Ensemble fluktuiert zunächst, gewinnt aber im Lauf dieser Jahre an Beständigkeit, die Wandlungen voraussetzt. Subjekt derselben bleibt immer er selbst. Darin erhält sich die dem Leben gemäße Spannung von Altern zu Sichverjüngen.
Die ersten Werke werden bei Schwann, Düsseldorf, veröffentlicht. Da das vonseiten des Lektorats aber nur selektiv geschieht, entschließen sich Peter und Wilgard Janssens zum eigenen Verlag, der 1968 in Münster gegründet wird. Im April 1972 zogen Peter, Wilgard und Lukas mit Priska und Oliver heim ins Jägerhaus nach Telgte. Dort ist im alten Schweinestall auch Platz für ein kleines verlagseigenes Studio. Bewegte Jahre.
5. Theater- & Kulturreisen – Lateinamerika
aufgeschrieben von
Friedrich Karl Barth